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150 Tage Thies - Von „White Savourism“ und Rassismus

  • Autorenbild: Jana Schmitt
    Jana Schmitt
  • 4. Feb. 2020
  • 5 Min. Lesezeit

„Und was machst du so nach dem Abi?“ – „Einen Freiwilligendienst im Senegal.“ – „Krass, Afrika.“ – „Nein, Senegal.“


„Und wie ist das Leben in Afrika so?“ – „Keine Ahnung. Ich kann dir sagen wie das Leben im Senegal ist, aber das war´s dann auch.“

Fragen und Anmerkungen, die ich nicht selten gehört habe vor meiner Reise. Was daran so falsch ist, mag vielleicht für einige gar nicht direkt klar werden. Und doch wird man bei genauerem Hinhören etwas stutzig. Ein Jahr im Senegal macht mich nämlich noch lange nicht zum Afrikaprofi. Was lässt also Menschen darauf schließen, ich würde nun die afrikanische Kultur, das afrikanische Essen und die afrikanische Mentalität kennen, wenn ich doch nur eines von 55 Ländern und damit 0,65% des afrikanischen Kontinents besucht habe? Und das alles, wenn man bedenkt, wie verbissen wir Deutschen doch auf unseren eigenen Eigenheiten beharren. Nie im Leben kämen wir auf die Idee, uns mit Italiener und Franzosen in einen Topf zu werfen. Liegt doch in Europa, alles das gleiche! Wohl kaum. Afrika ist kein Land! Das muss uns allen ein für allemal bewusst werden. Afrika ist ein Kontinent, der mindestens so vielfältig und kulturreich ist wie Europa auch. Also lassen wir doch endlich das „über-einen-Kamm-scheren“ und akzeptieren diesen Fakt.


Und dann ist da noch die immer heikle Frage: Was genau machst du denn dort? Was ist deine Arbeit und was genau die Intention hinter dem Programm.

Junge, unqualifizierte Weiße werden in sogenannte Entwicklungsländer geschickt, um Weltverbesserer zu spielen? Daran mag man vielleicht zunächst denken. Kritisch. Weltwärts ist definitiv keine Entwicklungshilfe, das muss allen bewusst sein, die mit dem Gedanken spielen, einen solchen Freiwilligendienst zu machen. Und trotzdem dominiert oft genau dieses Bild die Vorstellung vieler Menschen, was wohl daran liegt, dass derartiges nicht selten zu beobachten ist.


Erst kürzlich hat ein solcher Fall großes Aufsehen erregt. Die Amerikanerin Renee Bach, die 2007 mit 18 Jahren zum ersten mal nach Uganda reist und dort die religiöse NGO „Serving his children“ gründet, steht heute vor Gericht. Die Anklage: Ohne medizinische Ausbildung soll sie vor Ort über Jahre hinweg Kinder behandelt haben, sich als Ärztin ausgegeben haben und teilweise komplexe medizinische Behandlungen durchgeführt haben. Alles ohne Qualifikation und medizinische Ausbildung. Nun sind zwei lokale Kinder tot und die Mütter wollen Bach zur Verantwortung ziehen.

Dieses Beispiel verdeutlicht recht gut die große Gefahr und die Problematik des sogenannten „White saviorism“, also wenn „privilegierte Weiße“ in die weite Welt, sprich „Entwicklungsländer“, ziehen um die „armen Schwarzen“ zu retten. Dass das völlig nach hinten losgehen kann, hat der Fall Bach bewiesen. Ohne tieferes Verständnis für Kultur gehen die Aktionen der „weißen Retter“ oft massiv an den eigentlichen Bedürfnissen der locals vorbei. Selbst wenn es wirklich ihre Absicht ist, etwas Gutes zu tun und den Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen. Was aber genau dieses „besser“ ist, daran scheiden sich die Geister.


Genau das will weltwärts nicht. „Entwicklungspolitischer Lerndienst“, so nennt sich das Ganze. „Lerndienst“ - das impliziert also, dass jemand etwas lernen soll. Damit sind aber zunächst nicht die Kinder im Kindergarten, in der Schule oder im Waisenhaus gemeint. In erster Linie geht es um den oder die Freiwillige selbst. Es geht darum, den interkulturellen Austausch zu fördern, Engagement zu zeigen, persönliche Erfahrungen zu sammeln, an Grenzen zu gehen und über sich hinauszuwachsen. Ein Schritt in Richtung Toleranz, Kulturverständnis und Horizonterweiterung. Endlich zu brechen mit alteingesessenen Stigmata und Vorurteilen, mit Rassismus gegen „people of colour“ und Abwertung deren Kultur, mit diesem teilweise absolut verkehrten Bild vom Leben hier.

Das Ganze ist natürlich ein Prozess, ein Lernprozess. Auch meine früheren Vorstellungen und Erwartungen an Land und Leute entsprechen oft nicht der Realität. Annegret und ich sind hier nicht nur einmal ins Fettnäpfchen getreten, weil uns viele Gepflogenheiten und Verhaltensweisen nicht geläufig oder gar völlig fremd waren. Und so wie wir unsere Vorstellung vom Senegal haben, haben die Senegalesen auch ein Bild von uns.


Ja, auch wir erfahren hier Rassismus, sind für alle die „Toubabs“, die reichen Weißen aus Europa. Dass wir im Anschluss an unseren Schulabschluss als Freiwillige arbeiten und Teil eines vom Staat finanzierten Programms sind ohne zuvor je einer festen Arbeit nachgegangen zu sein und Geld verdient zu haben, spielt dabei meist keine Rolle. Diese Art von Rassismus wird auch als „Positiver Rassismus“ bezeichnet. Dieser ist jedoch keinesfalls im Sinne von angebracht zu verstehen, sondern bezieht sich schlicht auf die Bevorzugung einer Person oder einer Personengruppe. Anders als beim negativen Rassismus, der Benachteiligung und Ausgrenzung für die betroffenen bedeutet. Denn dort, wo ich eine gewisse Personengruppe bevorzuge, setze ich eine andere Personengruppe automatisch herab. Was eine Ungleichheit oder ein Ungleichgewicht von diesen Gruppen zur Folge hat, die automatisch die Integration erschwert.


Es wird automatisch impliziert, dass wir viel Geld haben und das aufgrund unseres Aussehens und unserer vermeintlichen Herkunft. Und da ist es wieder, das Verallgemeinern, das Über-einen-Kamm-Scheren. Die Person selbst, ich als Individuum, ist in diesen Momenten nicht wichtig. Es wird ein Bild auf mich projiziert das vom gesellschaftlichen Umfeld und auch von Medien vermittelt wird: Weiß ist gleich reich, privilegiert und wohlhabend. Das Gegenteil zu behaupten oder zu beweisen erweist sich oft als schwierig. Vielleicht auch, weil die Menschen das gar nicht hören wollen.

Natürlich ist an der ganzen Sache etwas dran, das will und darf ich gar nicht leugnen. Oft können wir uns mehr leisten als viele Familien hier. Oft erfüllen wir einfach mal die Klischees, in dem wir unseren Urlaub am Strand verbringen, uns am Nachmittag im neuen Café um die Ecke bei einem Iced Coffee die Zeit vertreiben oder bei Lust auf Käse in den Supermarkt fahren – und nicht wie die meisten hier auf den Markt. Oft sind es genau diese Dinge, die bei den Locals den Eindruck und das Bild von den Toubabs bestätigen und festigen. Trotzdem ist es ein Irrglaube, zu denken, in Europa ginge es allen Menschen gut.


Europa, ein Land? Nein, ein ganzer Kontinent mit 47 Staaten und noch viel mehr Kulturen. Und genau deshalb muss auch hier differenziert werden. Auch in Europa gibt es ärmere und reichere Länder. Auch in Europa gibt es Menschen ohne ausreichend Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Infrastruktur. Auch in Europa gibt es Menschen, die sich weniger leisten können als andere. Und ja, die gibt es auch in Deutschland.


Ich finde es an dieser Stelle sehr schwierig, die Armut in afrikanischen Ländern oder spezifisch hier im Senegal mit der in Deutschland zu vergleichen. An Hunger oder an einer aus medizinischer Sicht leicht zu kurierenden Krankheit zu sterben, scheint mir in Deutschland weitaus weniger wahrscheinlich als hier. Das mag vielleicht aber auch daran liegen, dass ich damit nie Berührungspunkte hatte und wohl in dieser Hinsicht sehr behütet aufgewachsen bin. Deshalb kann und will ich hierüber nicht urteilen. Armut gegeneinander aufzuwiegen oder „arme Menschen“ in ihren Lebenssituationen zu vergleichen ist ganz klar ein No-Go.


Selbst wenn die Dimensionen etwas verschoben sind, die Definition von Armut bleibt die Gleiche:


„Der Entwicklungsausschuss der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) versteht unter Armut verschiedene Arten von Entbehrungen im Zusammenhang mit der Unfähigkeit, menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen.“ (Quelle: BMZ)


Als Beispiele dieser Bedürfnisse werden vor allem der Konsum und die Sicherheit von Nahrungsmitteln, sowie Gesundheitsversorgung, Bildung, Ausübung von Rechten, Mitsprache, Sicherheit, Würde und menschenwürdige Arbeit genannt.

Es gibt also unzählige Arten und Ursachen von Armut, die selbstverständlich auch in ihrer Intensität und ihrer Brisanz variieren können.


Meine Absicht ist es also keinesfalls, zu verharmlosen oder zu messen. Mit diesen Gedanken will ich lediglich meine Erfahrungen und Eindrücke teilen und vielleicht auch ein kleines bisschen daran erinnern, öfter mal die Augen aufzumachen und in Sprache und Verhalten ein bisschen mehr Sensibilität an den Tag zu legen. Gerade was Klischees oder Verallgemeinerung betrifft.


So: Don´t be racist. Build bridges not walls. Thanks and bye!

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