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Von Bushtaxis und Selbsterkenntnis - unser Zwischenseminar in Gambia

  • Autorenbild: Jana Schmitt
    Jana Schmitt
  • 27. Feb. 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Lange darauf hingefiebert und doch immer so weit weg - dann war es plötzlich soweit. Halbzeit. Ja, tatsächlich. Im Rückblick sind die letzten 6 Monate wie im Rausch vergangen und die Tage fliegen nur so. Umso surrealer war es für mich am vergangenen Freitag um 7 Uhr früh am Autosammelplatz in Thies zu stehen und auf unsere Mitfahrer zu warten. Gewappnet mit Obst, Keksen und sogar ner Tupperdose voll Reis traten wir also unsere Reise zum Zwischenseminar an, wo mit anderen weltwärts Freiwilligen das vergangene halbe Jahr reflektiert werden sollte. Aber auch Gedanken um die verbleibenden 6 Monate und die Rückkehr nach Deutschland kamen nicht zu kurz.


Das Ziel unserer Reise: Gambia, der kleine, schlangenförmige Binnenstaat Senegals, benannt nach dem Fluss, den er einschließt. Genauer gesagt "Bintang", ein kleiner Ort direkt am Ufer des "Gambian River". Die Fahrt zu acht im klapprigen Peugeot war zwar lang (9 Stunden), aber dank unserer netten Mitfahrer sehr unterhaltsam und entspannt. Nachdem uns unsere senegalesischen Mitfahrer in Gambia haben aussteigen lassen, um ihre Reise in den Süden Senegals fortzusetzten, ging es für uns mit dem Bus weiter Richtung Bintang, wo wir die nächsten 5 Tage verbringen sollten. Aber was wäre eine Reise ohne ein bisschen Abenteuer. Schon fast erstaunt, dass alles reibungslos zu klappen schien, verpasste der Bus wie aufs Stichwort unsere Haltestelle und wir wurden kurzerhand in einem kleinen Dorf ausgesetzt. Na toll - gestrandet mitten im Nirgendwo und weit und breit kein Taxi in Sicht. Worüber wir uns vor ein paar Monaten in Deutschland noch geärgert oder Sorgen gemacht hätten, da konnten wir hier nur entspannt mit den Schultern zucken. Denn wie die Leute hier so sind, organisierten uns zwei Polizisten prompt eine Mitfahrgelegenheit und wir schafften die letzte Etappe schließlich per Anhalter.


Angekommen in der Lodge direkt am Ufer des Gambia River, waren wir erstmal platt - von der Reise, aber auch von der wunderschönen Landschaft! Wir wohnten in kleinen Lodges, hatten vom Restaurant eine traumhafte Aussicht auf die umliegenden Mangrovenwälder und einen open-air Seminarraum aus Bambus und Palmenblättern.

Mit den sieben anderen Seminarteilnehmerinnen (ja, wir waren tatsächlich nur Mädels) aus Gambia und Senegal, unserem Seminarleiter Christian aus Deutschland und dem Gambier Ousmane, der mit Freiwilligen zusammenarbeitet, waren wir komplett und konnten am Freitag Abend mit den Inhalten loslegen.






Wir beschäftigen uns zu Beginn vor allem mit unseren ersten Wochen in Sengal/ Gambia, dem Einleben im sozialen Umfeld und im Projekt, aber auch Schwierigkeiten und Umstellungen und ließen all das noch einmal Revue passieren. Am Sonntag sollte es uns um Privilegien gehen. Privilegien, die wir als Weiße hier und auch im Rest der Welt genießen, ob wir wollen oder nicht. Gerade im Austausch mit Ousmane und mit einem kleinen Positionierungsspiel wurde recht schnell deutlich, das wir nicht alle gleiche Rechte und Möglichkeiten haben. "Gehe einen Schritt nach vorne, wenn du die Chance auf eine kostenlose Schulbildung hast. Wenn du mehr als fünfzig Bücher zu Hause hast. Wenn du dir bei Krankheit keine Sorgen um deine medizinische Versorgung machen musst. Wenn du deine Eltern in absehbarer Zeit nicht finanziell unterstützen musst. Wenn du deinen Beruf nach eigenen Interessen wählen kannst. (...)" Während wir fast das Ende des Raumes erreicht haben, stand Ousmane weit hinter uns. Eine wirklich komische Situation.


Trotzdem ist es auch wichtig, dieses Thema sensibel zu betrachten. Wie eine andere Freiwillige im Seminar sagte: Manchmal sind die Indikatoren für Wohlstand und Priveligiertheit, die wir Länder aus dem Globalen Norden festlegen, nur auf unsere Kultur zugeschnitten und werden anderen, als "Schwellen- oder gar Entwicklungsländern" eingestuften Staaten, nicht im Ansatz gerecht. In der afrikanischen Kultur zum Beispiel, ist es von je her so gewesen, Traditionen und Wissen mündlich weiterzugeben. Das ist auch heute noch so. Warum sollten aus einer oralen Kultur stammende Menschen also 50 Bücher besitzen? Doch wenn sie es nicht tun, gelten sie als unprivilegiert oder gar unentwickelt. Es ist also super wichtig nicht alles an einem einheitlichen Maß zu messen, auch kulturelle Unterschiede anzuerkennen und in eventuelle Kategorisierungen mit einzubeziehen.





Am Nachmittag hatten wir die Chance, noch einmal richtig kreativ zu werden. Zu dritt durften wir über ein Thema unserer Wahl, das in irgendeiner Weise mit unserem Freiwilligen Dienst zusammenhängt, einen eigenen Podcast aufnehmen. Sobald die letzten technischen Anpassungen abgeschlossen sind, werde ich die fertige Datei hier verlinken. So viel soll verraten sein: Wir hatten sehr viel Spaß und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen!


Der Montag, der Tag vor unserer Abreise, ist mir bis jetzt am meisten im Gedächtnis geblieben. Und das nicht nur wegen der Bootstour, die wir auf dem Gambia entlang der Mangrovenwälder und durch ein wunderschönes Biotop unternommen haben. Wir hatten nämlich Besuch von zwei unglaublich tollen Gambianerinnen, mit denen wir über zwei nicht so einfache Themen sprechen durften.

In der ersten Hälfte unseres Austausches, erzählte uns eine der beiden von der kulturellen Verankerung und den Gefahren der traditionellen Medizin der Marabouts. Viele Menschen verlassen sich noch heute voll auf die religiösen Heiler. Genau dieses - oft blinde - Vertrauen kann sehr gefährlich sein, denn Malaria (beispielsweise) lässt sich nun einmal nicht mit Kräutern und Hausmitteln heilen. Hinzu kommt, dass es unter den Heilern durchaus auch Schwindler gibt, die nicht im Ansatz über Wissen über die Heilkraft von lokalen Pflanzen und Kräutern verfügen. Mit ihrer Theatergruppe dreht die junge Frau Kurzfilme, die sich alltagsnah mit dieser Thematik auseinandersetzen und die Menschen auf diese Weise sensibilisieren und belehren wollen.




Unser zweiter Gast war Satang, die gerade dabei ist ihr Jurastudium abzuschließen und sich in Gambia für Genderequality und das Ende von weiblicher Genitalverstümmelung einsetzt. Das Gespräch mit ihr war wirklich sehr emotional und alles andere als leicht. Zuerst einmal hat sie klargestellt, dass diese Art von Eingriff, bei dem die Klitoris und die Schamlippen teilweise oder sogar ganz entfernt werden und anschließend vernäht werden, in Gambia und in Senegal illegal sind. Trotzdem sieht die Praxis heute ganz anders aus: Je nach Ethnie, werden noch immer Mädchen und junge Frauen (oft schon im Kindesalter) brutalst verstümmelt. Und das aus Gründen die auf Tradition und Irrglaube zurückgehen. Denn entgegen der Meinung vieler Muslime, befiehlt der Koran diesen Eingriff nicht. Vielmehr hat er einen geschichtlichen Hintergrund: Zu der Zeit als Araber auf afrikanischen Territorien Krieg führten, wollten die Männer durch die Beschneidung das sexuelle Verlangen ihrer Frauen und weiblichen Familie Mitglieder zügeln und durch die anschließende Vernähung den Geschlechtsverkehr (sei es freiwillig oder durch Vergewaltigungen) unmöglich machen. Die Leidtragenden waren in jedem Fall die Frauen. Einmal verstümmelt - "beschnitten" ist hier eine maßlose Untertreibung und wird dem nicht gerecht - haben die Betroffenen ihr Leben lang mit Schmerzen und gesundheitlichen Problemen, vor allem während der Menstruation, des Geschlechtsverkehrs und der Geburt ihrer Kinder, zu kämpfen.

Nicht selten kommt es vor, dass Mädchen und Frauen direkt nach dem Eingriff, oder nachdem die vernähten Schamlippen am Tag vor der Hochzeitsnacht wieder geöffnet werden, verbluten.


Für mich ist völlig unverständlich, wie Mütter und Großmütter, die genau diese unvollstellbare Prozedur durchleben mussten, ihren Töchtern und Enkelinnen so etwas antun können und eine Tradition fortsetzen, die nichts bringt als Schmerz und Leid.

Wo die weibliche Genitalverstümmelung heute noch praktiziert wird, ist vor allem von den Ethnien und vom geografischen Umfeld abhängig. Gerade in ruralen Gegenden und in Gebieten, wo viele Poular (49% der Frauen sind betroffen) und Soninke (81% der Frauen sind betroffen) ansässig sind, wird sich noch immer über das Gesetz hinweggesetzt. Bei Stämmen wie Serere und wolof sind es hingegen nur 2%; in ganz Senegal beläuft sich die Quote der betroffenen Frauen und Mädchen (15-49 Jahre) auf 24%. Dabei muss jedoch noch bedacht werden, dass 81% der Verstümmelungen bis zum 4. Lebensjahr erfolgen, und somit (plus Einbezug der Dunkelziffer) die Zahl in der Realität wahrscheinlich sogar noch höher ist.

Wer sich für das Thema FGM (Female Genital Mutilation) interessiert und nochmal nachlesen will, der kann das hier auf der Seite von "Terre des femmes" tun.



Hier ein kleiner Überblick über die prozentuale Verteilung von FGM im Senegal

Und ehe wir uns versahen, saßen wir nach 5 Tagen in Gambia auch schon wieder im Auto nach Thies. Mit unserem Fahrer hatten wir auch dieses mal Glück, was die Heimfahrt zwar nicht weniger kurz, aber dafür erträglicher machte.




Ciao, bis bald. Jana



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